Unter Geiern - Trekkingtour durch die Pyrenäen

Im Hochsommer kann man sich kaum vorstellen, in den spanischen Bergen mit einem Rucksack umherzulaufen. Wie viel verlockender ist es doch, am Strand die Beine auszustrecken und der Gluthitze mit einem Sprung ins kühle Meer zu entkommen. Und doch zählt bei vielen Spaniern die Flucht vor der Hitze hinauf in die Berge zu den beliebtesten Sommerbeschäftigungen. Als Möchtegern-Spanier machen wir natürlich mit!

Tal im Canon del Anisclo
 

Stadtflucht der Einheimischen - Von Barcelona in die Pyrenäen

 

Für die Bewohner Barcelonas heißt es in den brütendheißen Monaten Juli und August, wenn sich Touristenmassen die Ramblas entlangwälzen, "Raus aus der Stadt und ab in die Natur!" Da kommen die Hausberge in den Pyrenäen gerade recht. Hier oben auf rund 2.000 Metern tummeln sich keine Touristen mehr, es herrscht Stille und die Temperaturen sinken unter 25 Grad – eine echte Wohltat. Zudem sind die üppig bewachsenen Wiesen der Hochgebirge herrlich erfrischend. Wer in einem staubtrockenen Land wie ich in Andalusien wohnt, weiß das saftige Grün der Berglandschaften erst richtig zu schätzen. Quirlige Bäche schießen hier in den Pyrenäen zu Tal, in denen man seine müden Füße von der Wanderei erfrischen und die nächste Etappe meistern kann.

Mittelalterliche Steinbrücke im Hochland

 

Für die spanischen Pyrenäen gibt es mehrere Einfallstore in die spektakuläre Bergwelt. Ein solcher Ort ist die Kleinstadt Aínsa in der Provinz Huesca, die sich südlich der Pyrenäen befindet und die Pforte zu Spaniens Nationalpark Ordesa und Monte Perdido (Verlorener Berg) darstellt. Der Aufstieg auf die bis mehr als 3.000 Meter hohen Berggipfel muss gut organisiert werden.In Ainsa kann man sich fehlende Ausstattung nachkaufen, mit Proviant versorgen, Benzin tanken, Wanderkarten erwerben oder sich für die kommenden anstrengenden Tage in den Bergen einen Speckgürtel anfuttern. Etliche Restaurants mit üppiger aragonesischer Küche laden zur Stärkung ein. 

 Salchichas con Pimiento

Nationalpark Ordesa y Monte Perdido - Land der Braunbären und Aasgeier

 

Der Nationalpark Ordesa liegt im wahrsten Sinne des Wortes im Herzen der Pyrenäen – bis zu den Küsten des Atlantiks im Baskenland oder zum Mittelmeer in Katalonien ist es etwa gleich weit. Rund 270 km weit und 3 Stunden lang ist die Autofahrt nach San Sebastian oder nach Barcelona im Westen. Nach Frankreich kann man es hingegen in einer Tagestour schaffen,denn der Parque Nacional de Ordesa y Monte Perdido verläuft entlang der französischen Grenze.Im Nationalpark sind nicht nur Bergwelt und Vegetation bewundernswert, es gibt auch viele seltene Tiere zu entdecken, die man auch als ungeübter Bergwanderer ständig zu sehen bekommt. Viele Tiere sind neugierig und sogar recht zutraulich gegenüber Menschen. Dieses Murmeltier (siehe Foto unten) pfiff uns minutenlang hinterher.

Wer entdeckt das Murmeltier? 

 

Bei einer Morgentour durch dasBarranco de Pardina - ein tief eingeschnittener Seitenarm des gigantischen Cañon del Anisclo –begegneten uns Bergziegen, Alpendohlen, Pyrenäengämsen, Buitres und echte Aasgeier. Als wir das ins Liebesspiel verstrickte Bartgeierpaar entdecken, sind alle Strapazen des Aufstiegs vergessen. Diese riesigen Geier leben in den einsamen Bergregionen oberhalb der Baumgrenze und zeigen sich nur selten aus der Nähe. Sie warten lieber bis man tot ist. Denn die furchteinflößenden Quebrantahuesos – übersetzt Knochenbrecher – sind ohne Zweifel die Könige im Pyrenäenland. Diese Bartgeier erreichen eine Flügelspannweite von bis zu 3 Metern und zählen zu den größten Vögeln der Welt. Sie tragen Tierkadaver weit in den Himmel hinauf und lassen Knochen in tiefe Schluchten fallen, damit sie zersplittern. Denn der Knochenbrecher frisst am liebsten Knochenmark. In den Alpen sind die dort auch Lämmergeier genannten Vögel weitgehend ausgestorben, werden aber in der Schweiz wieder angesiedelt. 

 Bartgeier, auf Spanisch Quebrantahuesos, Knochenbrecher, genannt

Wie wir hörten, machen die Knochenbrecher auch nicht vor Menschen Halt, attackieren aber keine lebenden Menschen. Im Mai 2013 hatten die Bartgeier in den Pyrenäen eine tödlich verunglückte französische Bergsteigerin entdeckt und binnen weniger Minuten als Mahl verdrückt. Es tröstet nicht gerade zu wissen, dass es in den Pyrenäenfalten auf rund 1.800 Metern Höhe auch noch verstreut lebende Braunbären gibt.

 

Fehltritte vermeiden! Entlang auf engen Felssteigen an tiefen Schluchten

Entsprechend vorgewarnt und mit mulmigem Gefühl kletterten wir die schmalen Felsenwege – sogenannte Rajas – an den schwindelerrengenden Felswänden des Cañon auf rund 2.100 Meter Höhe entlang.Mit weichen Knien kann man in die üppig bewachsenen grünen Schluchten blicken und dem Lauf der quirligen Bergbäche folgen. Von den Wänden stürzen sich Wasserfälle, unter denen man mutig entlanglaufen und bei jedem Schritt auf glatte Steine und rutschigen Boden achten muss. Schließlich geht es nur wenige Zentimeter neben einem in die Tiefe. Also, nichts für Menschen mit schwachen Nerven und zappelige Naturen. 

Wasserfall im Collado de Anisclo 

 

Die Tour entlang der Faja im Barranco de Pardina dauert gut 2 Stunden, wenn man sich Zeit lässt und die Wasserfälle mit Vorsicht umkurvt. Mitunter halten einen aber auch Grüppchen von Bergziegen auf, die ebenfalls auf dem schmalen Grat entlangtrotten. In der Felsspalte, die wir als schmalen Wanderweg auserkoren haben, wachsen saftiger Löwenzahn und Kräuter, die oberhalb der Berge nur von der Sonne versengt werden. Auch die Ziegen scheinen zu wissen, dass jeder Fehltritt bestraft wird. Am Ende der Gratwanderung geht es – wie kann es anders sein – noch einen Stock höher bis auf das nächste Plateau der Steilwand.

Barranco de Pardina 

 

 

Der Aufstieg entlang der Felswand wird durch Drahtseile und in Stein einbetonierte Eisenhaken erleichtert. Oben angekommen, freuen wir uns, den kreisenden Bartgeiern diesmal nicht zum Opfer gefallen zu sein. Jetzt sind die Vögel zum Greifen nah. Wir nehmen ein Picknick ein, das von den Vögeln argwöhnisch beobachtet wird.  

Wanderwege verwandeln sich in Gebirgsbäche 

Auf zum Weltkulturerbe - Monte Perdido - Der Verlorene Berg

 

Die Bergwelt auf dem Felsplateau mit Blick auf den Monte Perdido ist schwer beeindruckend. Ab Mittag hüllen sich die grauen gletscherbedeckten Kuppen der Berge Pico Cilindro und Pico Soum de Ramond  in Wolken und verkünden, dass es auch an diesem Abend wieder kräftige Unwetter geben wird. Wer den Gipfel des 3.355 Meter hohenMonte Perdido besteigen will, sollte sich deshalb im Morgengrauen - im Sommer gegen 4 Uhr - auf die Socken machen, um nicht von Blitz und Donner auf dem kahlen Berg erwischt zu werden. Wer schon einmal ein Gewitter im Hochgebirge erlebt hat, weiß wie furchteinflößend das sein kann. Da nutzt es auch nichts, wenn man die Ehre hat, auf einem Weltkulturerbe herumzuwandern. Denn der von den Franzosen Mont Perdu genannte Berg Monte Perdido wurde von der Unesco wegen seiner landschaftlichen Schönheit als Weltkulturerbe ausgezeichnet. 

 In der Ferne ruft das Felsmassiv des Monte Perdido

Nichts für Warmduscher  - Gewitternacht unterm Felsvorsprung

 

Viele Trekking-Freunde nutzen deshalb die Berghütten in den hochgelegenen Dörfern, um dort eine Nacht zu schlafen und am Morgen zum Aufstieg aufzubrechen. Im hübschen Dörfchen Nerin fanden wir eine einfache, saubere und toll  ausgestattete Berghütte mit Restaurant. Die netten Herbergsväter bereiten morgens für alle ein kleines Frühstück vor und stellen sogar Proviantpakete für die Tagestour zusammen. Sehr praktisch, denn wer sich auf die 2.000 Meter hinaufgequält hat, will so schnell nicht wieder hinunterlaufen, um einzukaufen.

 Hütte für Schafhirten als Notunterkunft

Auch für uns hieß es nach einer 10-stündigen Wandertour am zweiten Tag schleunigst eine Unterkunft finden. Die Füße waren so weich getreten, dass der Abstieg ins Tal undenkbar war. Also das GPS-Gerät gezückt und nach eine Schutzhütte gesucht. Dies sind meist aus Stein gemauerte Häuschen, die ursprünglich von Schafhirten angelegt wurden. Hier darf man umsonst schlafen, hat aber nicht viel mehr als nur ein Dach über dem Kopf.Dennoch sind diese einfachen Steinhütten sehr beliebt und wie wir merken mussten, gerade in der Regenzeit ratzfatz belegt. Es dämmerte schon und ein Gewitter braute sich zusammen als wir vor einer überfüllten Schutzhütte standen. Es hockten schon vier Naturfotografen drinnen und es blieb kein Platz mehr für uns vier Wanderer! Ein ziemlich niederschmetterndes Erlebnis, wenn die Füße nicht mehr weiterlaufen wollen und man auch kein Zelt dabei hat (Dummköpfe). Wo sollten wir nun die Nacht verbringen?

Suche nach einer Bleibe 

 

Es blieb uns nichts weiter übrig als in einer Felsspalte Schutz für die Nacht zu suchen. Nur wenige Meter von der Hütte entfernt stand ein riesiger Steinbrocken am Berghang (siehe roter Pfeil im Foto unten), der einmal den Berg herabgestürzt sein musste und so fiel, dass darunter eine Spalte entstand. Wir nannten den Felsen, der mit seinem spitzen Dach die Form einer Pagode oder eines Hindu-Tempels hatte, den "Tempel der Glückseligkeit".

 Unterschlupf im Felsen

Hier breiteten wir unsere Isomatten und Schlafsäcke aus und waren heilfroh, untergekommen zu sein. Denn kaum in die Spalte geflüchtet, tobte auch schon das erste Gewitter mit heftigen Regengüssen los.     

Wasser, Wasser, Wasser - Kaskaden stürzen aus den Bergen herab

 

Im Valle de Ordesa stürzen wegen der vielen Regengüsse in den hohen Bergregionen an vielen Stellen mächtige Wasserfälle in tief eingeschnittene Felsschluchten und haben beeindruckende Cañons gebildet. Einer der tiefsten und längsten Cañons Europas befindet sich im Nationalpark Ordesa und heißt Cañón de Añisclo. Ein Flüsschen, das seit Millionen von Jahren von den Gipfeln des Monte Perdido herabrauscht, hat sich tief in den Kalkstein geschnitten. So tief, dass man mitunter den Boden nicht erkennen kann, wenn man aus 1000 Meter Höhe über die Felskante lugt. Einen Teil des Canons kann man auch über die schmale Teerstraße mit dem Auto erreichen, darf aber nur in eine Richtung stromaufwärts fahren.Am Aussichtspunkt Vio sollte man unbedingt parken und einen kurzen Spaziergang über die schwindelerregende Brücke zur Kapelle des Heiligen San Urbez unternehmen. Der im 8. Jahrhundert lebende Priester war eine Art heiliger Waldschrat, der Tiere und Menschen heilte und in einer Felshöhle bei Vio lebte.Von hier kann man den Aufstieg im Cañon auf dem Wanderweg zu Fuß unternehmen und zum Monte Perdido aufsteigen.

Monte Perdido in Wolken     

Goldene Regel im Nationalpark: Wer Müll hochschleppt, muss ihn wieder heruntertragen

 

Wer im Nationalpark wandern will, muss sich an einige Regeln halten. Müll muss jeder Bergwanderer wieder mit hinunter schleppen, d.h.beim Einpacken des Proviants mitdenken und leichte oder wenig Verpackung wählen. Wir wünschten uns, es gebe essbare Dosen und Kekspackungen. Trinkwasser muss man gottseidank nicht hinaufschleppen, denn die herrlich klaren Bäche der Pyrenäen sind sauber und liefern beste Trinkwasserqualität. Gletscherwasser, heftige Regenfälle und Quellen bringen jeden Tag viele Liter Wasser zu Tal, die in Stauseen aufgefangen und zur Bewässerung der Obstplantagen genutzt oder in die Städte als Trinkwasser geleitet werden. Im Vergleich zum Leitungswasser in Barcelona ist das Wasser der Bergseen und Bäche ein Gaumenschmaus. Zurück in Barcelona schmeckt das Leitungswasser dann so brackig, dass man lieber auf frische Cerveza umsteigen will. Wie schön, dass wir uns noch eine Flasche frisches Quellwasser aus den Pyrenäen abgefüllt haben.

 

Informationen zum Nationalpark Ordesa y Monte Perdido

Der 1918 gegründete Nationalpark ist der älteste Nationalpark in den Pyrenäen. Herzstück des Nationalparks ist der 3.355 Meter hohe Monte Perdido, der dritthöchste Berg der Pyrenäen. Der massive Kalksteingipfel ist das ganze Jahr über mit Gletschern bedeckt und gehört seit 1997 zum UNESCO-Welterbe. 

Lage:Provinz Huesca, im Norden von Aragón

Fläche:15.608 Hektar geschütztes Bergland und Trinkwasserquellen